Donnerstag, November 03, 2005

Dienstleistungsgesellschaft

Service wird in Japan sehr groß geschrieben, das kann man so ziemlich überall nachlesen, in den Infobroschüren von Nova beispielsweise. Pünktlichkeit wird vorausgesetzt, ein höflicher und freundlicher Umgang mit dem Kunden verstehen sich von selbst. Deshalb wurden wir auch bei der Orientation und im OJT regelmäßig darauf hingewiesen, immer pünktlich zu sein, bis zu einer bestimmten Deadline anzurufen, wenn man aus irgendeinem Grund mal nicht zur Arbeit erscheinen kann (z.B. weil man am Abend vorher Sushi ausprobiert hat). Ansonsten gibt es Lohnabzug. Wenn der Zug Verspätung hat (was sehr selten vorkommt, bei den öffentlichen Verkehrsmitteln ist Pünktlichkeit ist die höchste Tugend), kann – und muß – man beim Stationsaufseher ein Entschuldigungsschreiben erhalten.

Übrigens, die Züge. Verspätungen habe ich noch nicht erlebt, die Züge sind sauber – da könnte sich die Deutsche Bahn AG mal eine Scheibe von abschneiden! Aber was mich am meisten beeindruckt, sind die gelben Linien längs der Bahnsteige. In regelmäßigen Abständen haben diese Linien kleine Ausbuchtungen. Das sind die Markierungen für die Türen. Es ist wirklich fantastisch: die Züge sind nicht nur pünktlich, sie werden auch so exakt zum Halten gebracht, daß die Zugtüren sich vor diesen Markierungen befinden! Entsprechend stellen sich die Japaner (und ich habe es inzwischen auch kapiert) in Zweierreihen vor diesen Markierungen auf und warten diszipliniert, bis sich die Türen öffnen, treten dann einen Schritt zur Seite, um die Leute zunächst aussteigen zu lassen, und steigen dann ebenso diszipliniert ein. Gedrängelt wird nicht, und die Ellenbogen kommen auch nicht zum Einsatz.

Ebenso zuvorkommend wird man als Kunde in einem Geschäft behandelt, an der Kasse beispielsweise. Der Kunde legt sein Geld in eine kleine Schale, aber das Wechselgeld gibt der Kassierer dem Kunden direkt in die Hand. Dabei werden zuerst die Scheine überreicht, danach das Münzgeld und der Kassenbon (ja, auch der wird nicht einfach auf den Tresen geknallt!). Beim Papiergeld läuft das so ab: der Kassierer nimmt die betreffenden Anzahl Scheine aus der Kasse und zählt sie dann vor dem Kunden noch einmal ab, indem er sie so aufblättert, daß der Kunde mitzählen kann. Außerdem zählt der Kassierer laut. Ich kann mich also mit zwei Sinnen davon überzeugen, vom Kassierer nicht betrogen zu werden. Anschließend bekomme ich die Scheine vom Kassierer mit beiden Händen überreicht. Ihr erinnert Euch, was ich über die korrekte Übergabe einer Visitenkarte herausgefunden hatte? Höherstehenden Personen überreicht man die Visitenkarte mit beiden Händen. Mit dem Münzgeld wird unterschiedlich verfahren, je nachdem, um wie viele Münzen es sich handelt. Im Idealfall übergibt der Kassierer auch die Münzen mit beiden Händen, indem er sie auf den Kassenbon legt.

Am Sonntag nachmittag, als Angelica und ich gerade im MMC angekommen waren, haben wir im standby room ein Schauspiel der besonderen Art erlebt: die Getränkeautomaten wurden aufgefüllt. Zwei Arbeiter kamen herein, jeder schob einen Karren mit Getränkekartons vor sich her, und gingen zielstrebig auf die Automaten zu. Dann ging es los: blitzschnell wurden die Automaten geöffnet (jeder nahm sich einen vor), und ruckzuck wurden die Kartons aufgerissen und die Flaschen und Getränkedosen in atemberaubender Geschwindigkeit in die Automaten geworfen. Die Jungs hatten ein Tempo drauf, als ob der Leibhaftige hinter ihnen hergewesen wäre. Wenn ich mich in demselben Tempo nach den Kartons gebückt und wieder aufgerichtet hätte – mir wäre schwindelig geworden. Es dauerte keine fünf Minuten, da waren die Automaten wieder aufgefüllt und die beiden Arbeiter verschwunden. Irre!!

Als ich aus Moskau nach Deutschland zurückkam, war ich in den Geschäften über die Freundlichkeit der Verkäufer geschockt. Wenn ich aus Japan zurückkomme, wird der Schock etwas anders ausfallen...

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